Mouse freepick

Eine Maus unterm Bett

Endlich ist es Frühling. In Omas Garten hinter dem Haus blühen lila und gelbe Krokusse. Die ersten Osterglocken recken ihren Kopf in die Sonne. Oma und ich sitzen auf der Gartenbank und beobachten ein Finkenpärchen, das ausgelassen durch die Luft braust. „Wie jeht et?“, Oma winkt Frau Busa über den Gartenzaun zu. „Joot jet et. Un Inne?“ Frau Busa antwortet, wie gewohnt, in der Geheimsprache. Gerade will Oma an den Gartenzaun treten, um eine längere Geheimkonferenz, wie Opa es nannte, mit Frau Busa abzuhalten, da klingelt es an Omas Haustür. Ich renne voraus ins Haus und reiße die Tür auf. Onkel Köbes steht auf dem Treppenabsatz mit einem großen Jutesack über der Schulter. „Was haben wir denn da?“, schmunzelt Oma und lacht mich mit ihren großen grünen Augen an. Onkel Köbes stellt den Sack vor Oma im Hausflur ab und sogleich beginnt der Sack sich zu bewegen. „Miau, miau“, tönt es. „Ein Kätzchen“, rufe ich außer mir vor Begeisterung. „Ist es für mich?“ „Es ist für euch alle. Na, dann lassen wir es mal aus dem Sack.“ Mit diesen Worten löst Oma die Kordel, die den Sack zusammenhält und ein Tigerkätzchen springt heraus. Es versteckt sich vor lauter Schreck unter Opas Schuhschemel. „Oma, es sieht aus wie ein Junges von Mrs. Beasley“, plappere ich und versuche das Kätzchen mit einem „Miez, miez, miez“ aus seinem Versteck zu locken. „Wer ist Mrs Beasley?“, fragt Onkel Köbes neugierig. „Das ist unsere große Katze. Das weißt du doch. Wir haben den Namen aus einer Fernsehserie. Das Mädchen Buffy hat eine Puppe. Sie heißt Mrs Beasley.“ „Dann nenn’ die Kleine doch Buffy“, schlägt mein Onkel vor. Oma und ich sind aber der Meinung, dass meine Geschwister auch ein Mitspracherecht haben. „Bleibst du auf eine Tasse Kaffee, Köbes?“ „Na, klar, soviel Zeit muss sein.“ Und Onkel Köbes latscht mit seinen Feldstiefeln durch Omas gebohnerten Flur in die Küche. Oma serviert selbstgebackenen Apfelkuchen und Kaffee. Ich schlürfe einen Kakao. Ich muss kichern. „Weißt du, was Mrs Beasley mal gemacht hat?“ frage ich Onkel Josef und liefere die Antwort gleich hinterher: „Als sie noch ganz jung war, hat sie viele Mäuse gefangen und manchmal auch Vögel.“ Bei dem Gedanken an die Vögel werde ich ganz traurig. Oma merkt es sofort und streicht mir übers Haar: „So ist die Natur nun mal, Spatz.“ „Jedenfalls“, erkläre ich Onkel Köbes weiter, „hat Mrs Beasley meistens Mäuse gefangen. Ganz oft hat sie die Mäuse auf die Fußmatte vor der Haustür gelegt. Manchmal hat sie auch welche bis ins Haus getragen. Papa sagt immer, dass Mrs Beasley stolz auf die Beute ist und uns eine Freude damit machen will. Einmal fand Mama, dass es in Isas Zimmer merkwürdig roch. Wir sollten unsere Zimmer aufräumen, damit sie mal saubermachen konnte. Das haben wir dann auch gemacht. Als Mama den Rüssel des Staubsaugers unter Isas Bett hielt, saugte sie etwas Graues an. Es sah aus wie ein Stück schimmeliges Brot. Alle schrien vor Ekel durcheinander. Papa hat dann die verweste Maus auf den Komposthaufen geworfen. „Weißt du“, sagt Oma, „nach dem Tod eines Tieres oder dem Absterben einer Pflanze setzt die Verwesung ein. Die Verwesung geschieht durch Bakterien und Pilze. Verwesen können Leichen nur, wenn Sauerstoff da ist und dann stinkt es. Hättest du die Maus sofort im Garten begraben als sie gestorben ist, wäre sie nicht so schnell verwest, weil unter der Erde nur wenig Sauerstoff ist. Auch auf Opas Komposthaufen verwesen die abgestorbenen Pflanzen. Die Reste werden dann von Würmern und Insekten gefressen oder es wird nach einer Weile gute Erde daraus.“ So richtig verstehe ich Omas Geschichte nicht und ich glaube Onkel Köbes auch nicht. Er guckt so komisch. Oma will es mir später noch einmal genau erklären, wenn ich größer bin. Ich habe keine Lust mehr am Tisch zu sitzen und schaue lieber mal nach, was das Kätzchen im Hausflur macht.

Copyright Birgit Floßdorf